Participatory spaces for social change – Mitmachräume für den Wandel
Tobi Rosswog is a long-time activist, educator, and co-founder of various initiatives, including living utopia, a project and action network making ideas and pathways around the socio-ecological transition tangible. For 2.5 years, he lived and travelled without money. Today, he lives in a community where everything is shared. On a winter morning, we talked on the phone while he was traveling by train to an event – not an unusual scenario for him.
Tobi Rosswog ist langjähriger Aktivist, Bildungsdozent, und Mitbegründer vieler verschiedener Initiativen – wie beispielsweise das Projekt- und Aktionsnetzwerk living utopia, in dem Ideen und Wege einer sozial-ökologischen Transformation in Mitmachräumen erfahrbar gemacht werden. 2,5 Jahre lebte und reiste er konsequent geldfrei; nun lebt er im Kollektiv, in dem alles geteilt wird. An einem winterlichen Morgen sprachen wir am Telefon, während Tobi – wie so oft – mit dem Zug unterwegs war zu einer Veranstaltung.
Dear Tobi, you have once lived without money for a while – what is the story behind this?
Lieber Tobi, du hast ja einmal eine Zeit ohne Geld gelebt – wie kam es dazu und was war deine Motivation?
It has been 5 years since I decided that I would give away all my money and take off on a journey, trusting that everything I needed to ensure my survival would somehow be there. This decision was triggered during a volunteer seminar, where I was giving a workshop on world food sustenance. Participants gave me very positive feedback and asked me why I wasn’t doing this kind of thing more often. I was in the middle of my studies, and I realised that they were actually preventing me from engaging more consistently in such activities. Therefore, I decided to abandon my formal education and start the adventure.
Last but not least, it was my critical relationship to money that motivated me – money as a purported medium of exchange, based on the principle of merit and reward. The exchange logic is inherent to this. We are constantly asked to commercialise ourselves, externally motivated by money. As a result, to put it bluntly and somewhat simplified, many people end up in wage labour deprived of any meaning in order to survive.
Das war jetzt mittlerweile vor 5 Jahren, dass ich entschied zu sagen: ich verschenk jetzt einfach mal all mein Geld und los geht’s auf die Reise, in dem Vertrauen, dass alles da sein wird, was ich zur Existenzsicherung brauche. Der auslösende Moment war bei einem Freiwilligenseminar, bei dem ich einen Workshop gestalten durfte zum Thema Welternährung. Dort gaben mir die Teilnehmer*innen sehr positives Feedback und fragten, wieso ich das eigentlich nicht öfter mache. Und das habe ich mich dann auch gefragt: ja, warum mache ich das eigentlich nicht öfter? Ich habe damals noch studiert, in dem Glauben etwas zu brauchen, um das zu tun, was ich eigentlich machen möchte, und jetzt auch schon tue. Das Studium hinderte mich eher daran, daher habe ich es abgebrochen und los ging es auf die Reise.
Letztendlich hat mich auch eine große Kritik an Geld zu dem Schritt motiviert – Geld angeblich als ein Tauschmittel im Prinzip von Leistung und Gegenleistung. Die Tauschlogik ist darin eingefroren. Wir stecken dadurch immer in der Herausforderung uns verwerten zu müssen, von außen motiviert für das Geld irgendwas zu tun. Oft resultiert dies darin, einer meist – ich verkürze das jetzt mal absichtlich provokant plakativ – sinnentleerten Lohnarbeit nachzugehen um dabei zu gucken, wie ich mir jetzt meine Existenz sichern kann.
You articulated a critical view of money – what do you suggest as an alternative, what is your vision?
Du hast ja bereits etwas Kritik am Geld geäußert – was schlägst du als Alternative vor, was ist deine Vision?
Friederike Habermann suggests the concept of ‘ecommony’: contributing instead of exchanging and possession instead of property1. Those are the two principles for societal cooperation, which are already possible and, also, very necessary. The prevailing system demands constant competition and acceleration, to strive for infinite growth on a finite planet. This is impossible in the longer term. We do not have an infinite planet. If we look at the World Overshoot Day2, it becomes clear: we cannot go on like this.
Of course, we cannot switch to a money-free society from one day to the other. This is going to be a longer process, one that is similar to how I personally understand the idea of utopia: as a process, an engine of change; as the possibility to try to deal with current challenges, and to embody different logics in our everyday lives in order to become less dependent on wage work. This is an important factor: it required time to unfold one’s talents, vocation, and potentials. As soon as this becomes clear, one can start to understand how to contribute towards collective or larger societal structures.
Friederike Habermann schlägt dazu das Konzept „Ecommony vor: Beitragen statt tauschen und Besitz statt Eigentum.“ Das sind die zwei Prinzipien für ein gesamtheitliches Miteinander, die durchaus nicht nur möglich, sondern auch notwendig sind. Das vorherrschende System bringt die Herausforderung mit sich, dass wir immer und immer wieder dazu gezwungen sind uns durchzusetzen, zu beschleunigen, ein unendliches Wachstum auf einem durchaus begrenzten Planeten wollen zu müssen. Diese Rechnung geht nicht auf! Wir haben keinen unbegrenzten Planeten. Wenn wir uns nur den World Overshoot Day3 anschauen ist ganz klar: so kann es nicht weitergehen.
Von heute auf morgen wird es natürlich keine geldfreie Gesellschaft geben, das ist ganz logisch. Das ist ein längerer Prozess. Ebenso verstehe ich auch persönlich Utopie: als einen Prozess, einen Motor der Veränderung; als die Möglichkeit zu versuchen, wie der Herausforderung begegnet werden kann; andere Selbstverständlichkeiten zu leben, andere Logiken in den Alltag zu bringen, die eben nicht notwendigerweise immer in Konkurrenz münden; stattdessen ein Leben in Kooperation aufzubauen, um in diesem Prozess erstmal lohnarbeitsunabhängiger zu werden. Denn es braucht freie Zeit, um sich zu entfalten, um zu schauen, welche Talente, Berufung, Potentiale da sind. Und sobald das gefunden ist, zu schauen wie ich es dann einbringen kann – als Gemeingut ins Kollektiv bzw. in gesellschaftlich größere Strukturen.
What difficulties do you encounter during this process of change, which is taking place in a system based on money and exchange, and how do you deal with them?
Welchen Schwierigkeiten begegnest du bei diesem Veränderungsprozess, der ja doch in einem System stattfindet, das auf Geld und Tausch basiert – und wie gehst du mit diesen Schwierigkeiten um?
This is an intriguing question. Throughout the year, I give around a hundred talks at universities, congresses, voluntary seminars, and schools. The idea of exchange is so deeply ingrained in our mental infrastructures that it is difficult to think beyond it. From an early age, we learn that ‘if I give something, I have to get something back’. This is a logical calculation: the debts need to be paid. This notion of direct reciprocity is really difficult to overcome.
A concrete example: I was once invited to a volunteer-seminar where I talked about alternatives in four different areas of everyday life: clothing, food, mobility, and living. I talked very explicitly about gifting or sharing parties for clothing, and, still, what people later remembered was swap parties! This keeps happening all the time, so we must be very attentive to preconceptions in our heads in order to overcome them. These swap parties are really stressful when they work according to the logic of direct exchange. Some alternative currency, such as bottle caps or beer mats, serves as a means of exchange to get a pair of pants. It’s very formal and no fun for anyone, really! The abundance only begins when everything is brought to the table; allowing everyone to take what they need and give what they can, decoupled from the idea of direct exchange to experience things otherwise.
Das ist definitiv sehr spannend. Ich darf ja so um die 100 Vorträge im Jahr geben in Universitäten, auf Kongressen, auf Freiwilligenseminaren, an Schulen. In unseren mentalen Infrastrukturen ist der Tausch so manifestiert, dass es kaum anders denkbar ist. Von Kindesbeinen lernen wir: ich gebe etwas, also muss ich etwas dafür bekommen. Ganz logische Rechnung: die Schulden müssen beglichen werden. Diese direkte Reziprozität ist ziemlich schwierig zu überwinden.
Ein konkretes Beispiel: ich war einmal bei einem FJ-Seminar eingeladen, wo ich Infozettel verteilte zu den vier verschiedenen praktischen Lebensbereichen Kleidung, Ernährung, Mobilität und Wohnen. Auf diesen Zetteln werden Alternativen aufgeführt, wo zum Thema Kleidung ausdrücklich von Kleider-“Schenk“- oder Kleider-“Teil“party die Rede ist. Und dennoch wird danach immer von Kleider-“Tausch“party gesprochen. Das passiert wirklich unisono, daher muss immer ganz genau hingeguckt werden, um das, was im Kopf vorkonstruiert wird, zu überwinden! Meistens sind diese Tauschparties, wenn sie dann wirklich dieser Logik unterfallen, ultra-anstrengend. Dann wird da irgendeine Ersatzwährung in Form von Kronkorken oder Bierdeckeln verteilt für abgegebene Klamotten, und dann bekommst du dafür eine neue Hose. Urumständlich, keinem macht‘s wirklich Spaß. Die Fülle beginnt erst dann, wenn einfach alles auf den Tisch kommt, und alle sich das nehmen was sie brauchen und geben das was sie können – entkoppelt voneinander, um das Prinzip von Leistung und Gegenleistung zu überwinden.
You mentioned the term of wage labour several times in relation to money. What is your approach towards it?
Du erwähntest vorhin mehrmals den Begriff der Lohnarbeit im Zusammenhang mit Geld. Was ist deine Einstellung dazu?
As a whole, it is really exciting to look at the interrelations of wage labour, health, and the environment. What is the fetishization of work doing to us? It is something which has prevailed for over 500 years, since Luther and the reformation brought it into our world. The fetishization of work presumes that one who doesn’t work shouldn’t eat. People are required to perform in order to get something – even our own rights to exist. It is really urgent that we radically question this!
We need to start to differentiate between wage labour and being active out of intrinsic motivation. This is a wonderful thing and people do this with great joy. Heteronomous activities, in the form of wage labour to secure our own existence, often conflict with questions such as ‘is this really good for me?’ and ‘is it good for society?’ Currently, we have many people in wage labour and a low unemployment rate, but: what are we actually producing? According to Marianne Gronemeyer, most of the activities understood as proper work are causing harm to people and nature, merely motivated by the delusion of getting everyone a job. More and more useless stuff is being produced under precarious working conditions. We really need to question the worldview that produces this kind of labour. At the same time, I am full of trust that it is inherent to people to be active. Nobody wants to lay in bed all day: this is an illusion created by society and fortified by the media. The social philosopher and psychoanalysist Erich Fromm already wrote about this in his 1976 book ‘To have or to be?’ – if somebody just stays on the sofa all day for several weeks, then very often something is really wrong.
Insgesamt ist es sehr spannend einmal die Zusammenhänge von Lohnarbeit, Gesundheit, und Umwelt zu betrachten. Was macht dieser Arbeitsfetisch mit uns, seit 503 Jahren mittlerweile seit dem kürzlichen 500-jährigen Jubiläum, den Luther und die Reformation in unsere Welt gebracht hat4? Ein Arbeitsfetisch, der dann darin mündet: wer nicht arbeitet darf auch nicht essen. Auch da muss ich wieder etwas leisten um etwas zu bekommen, quasi für meine Existenzberechtigung. Das radikal in Frage zu stellen ist notwendig!
Wir müssen anfangen zu unterscheiden zwischen Lohnarbeit und aus intrinsischer Motivation tätig zu sein. Das nämlich ist eine ganz wunderbare Sache und machen Menschen mit größter Freude. Fremdbestimmt irgendeiner Tätigkeit nachzugehen in Form von Lohnarbeit, um nur die Existenz zu sichern, kommt schnell in den Konflikt mit der Frage: tut mir das wirklich gut? Und: tut das auch der Gesellschaft gut? Aktuell haben wir natürlich auch dann die Arbeitsplätze, und alle müssen irgendwie in Arbeit gebracht werden. Aber was produzieren wir denn da wirklich? Laut Marianne Gronemeyer ist eigentlich alles, was wir heute unter Arbeit verstehen menschen- und naturschädigend, der Wahnvorstellung folgend, wir müssten einfach irgend etwas tun5. Dadurch werden Dinge produziert, die gar keinen Sinn ergeben, die ökologisch verwerflich sind, und die unter sozial prekären Bedingungen hergestellt werden. Das Weltbild dieser Art von Lohnarbeit muss da letztendlich komplett in Frage gestellt werden. Gleichzeitig vertraue ich darauf, dass Menschen von sich aus und auch mit Freude irgendwie tätig werden möchten. Dass wir alle nur den ganzen Tag nur faulenzen und chillen wollen ist ein Bild, das gern von der Gesellschaft gezeichnet und den Medien bestärkt wird. Wenn wir dem Sozialphilosophen und Psychoanalytiker Erich Fromm Glauben schenken, der mit seinem Buch ‚Haben oder Sein‘ 1976 bekannt wurde, wird schnell klar: wenn man wirklich zwei Wochen auf dem Sofa nur rumchillt, und man dann nicht vom Sofa springt und genug hat, dann stimmt meist irgendwas nicht.
How do you engage with all these inspiring theories, without school or academia?
Wie kommst du ohne Schule und Uni in Berührung mit all den vielen Theorien, die dich inspirieren und weiterbringen?
Generally, I really enjoy exchanging thoughts with other people, often during seminars and congresses, where topics are current and up-to-date – unlike books which quite quickly become outdated. Sure, there is a range of books that I like to look at every now and then, skimming through them to extract their essences. Although, direct exchange with other people remains my main source of inspiration. With people like Erich Fromm, it is a bit difficult though…but there are many other great minds that are still alive with whom to get together to develop new perspectives.
For me, the most important thing is to manifest theory in practice. It really is not about talking about a better world, or one or another way to organise ourselves; rather, it is about experimenting and testing whether reality is able to stand up against all these theories. If it doesn’t, we have to try to see how we can explore other paths, without losing our conscience.
Prinzipiell ist es mir die größte Freude, mich mit anderen Menschen austauschen zu dürfen, häufig auf Tagungen und Kongressen, wo die Themen im Zeichen der Zeit stehen und ganz aktuell sind – nicht irgendwie durch Bücher, die innerhalb kürzester Zeit verjährt sind an Kenntnisstand oder aktuellem Zugang. Sicherlich gibt es auch das eine oder andere Buch, das ich gerne mal überfliege und versuche, die Essenzen daraus zu extrahieren. Der direkte Austausch ist jedoch meine Hauptnahrungsquelle. Bei Erich Fromm ist es natürlich schwer… andere Menschen wiederum gibt es großartigerweise noch, mit denen gemeinsam neue Perspektiven entwickelt werden können.
Das Theoretische in der Praxis zu manifestieren ist mir das Allerwichtigste. Es geht nicht darum, nur zu reden über eine bessere Welt, oder eine andere Art und Weise sich zu organisieren – sondern darum, es auszuprobieren und zu gucken, ob die Realität dem Ganzen standhält. Wenn das nicht klappt, dann müssen wir den Herausforderungen begegnen und schauen wo Nebenwege erkundet werden können, ohne dabei unser Gewissen zu verlieren.
What groups and networks are you collaborating with, who is around you on a daily basis?
Mit was für Gruppen und Netzwerken arbeitest du zusammen, wer umgibt dich auf einer täglichen Basis?
First and foremost, the living utopia movement, which I co-founded with Pia and others in 2013. It is our common goal to walk new paths collectively rather than individually, for all of society. Through this approach, a growing network has developed over the years: by now, we reach around 11,000 people through our newsletter. This is a beautiful potentiality, a rich pool of people all contributing to an incredible abundance. Ever since we started initiating a regular series of participatory spaces, we were able to meet and encounter in person, not just online in a forum or via email. The exchange can become very concrete, enabling us to try out in practice what this ‘other world’ could look like.
Vor allem die living utopia-Bewegung, die ich, gemeinsam mit Pia und anderen Leuten im Jahre 2013 mitinitiieren durfte. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, dabei nicht nur individuell neue Wege zu gehen, sondern das Ganze kollektiver zu tun und gesamtgesellschaftlich zu verankern. Dementsprechend entsteht dabei natürlich unglaublich viel Vernetzung: wir erreichen mittlerweile mit unserem Newsletter etwa 11.000 Leute. Das ist ein schönes Potential; ein Fundus an Menschen, die eine unglaubliche Fülle mit sich bringen. Seitdem wir regelmäßig eine Reihe verschiedener Mitmach-Räume initiieren, können wir einander auch real treffen und uns begegnen – eben nicht nur online in Foren oder über Emails. Dann kann der Austausch ganz konkret werden, um dann auch praktisch auszuprobieren, wie diese andere Welt eben aussehen könnte.
How do you define the participatory spaces you are referring to?
Was für Mitmachräume sind das?
There is a range of different participatory spaces: Utopival, a 6-days-long meeting; Utopikon, a 3-day conference with 300 people; Move Utopia, the 5-day-long get-together with 1000 people, which was realised for the first time in 20176; plus, many other initiatives! An important aspect is my independence of traditional structures such as environmental organisations and the like, which gives me a lot of freedom. Within such structures, you always have to try to promote your own ‘club’, which, at some point, always leads to questions of economic viability. Currently, large NGOs like Greenpeace juggle around 60 million a year to operate7. This naturally brings about nested interests when it comes to decision-making. Through our independence, we can commit ourselves to a wide range of cooperations and, perhaps, think outside the box more easily.
Es gibt da verschiedene solcher „Mitmachräume“: das utopival, ein Treffen über 6 Tage; die Utopikon, eine Konferenz mit 300 Leuten über drei Tage lang; oder auch das Move Utopia mit 1000 Menschen über 5 Tage, das 2017 zum ersten Mal verwirklicht wurde. Und dann gibt es auch noch ganz viele andere Initiativen. Ein wichtiger Punkt dabei ist: dadurch, dass ich nicht in traditionellen Strukturen wie z.B. Umweltverbänden oder ähnlichem unterwegs bin, bin ich viel unabhängiger. Sonst geht es immer darum, den eigenen Verband weiterzubringen, was notwendigerweise dann auch irgendwann eine gewisse Wirtschaftlichkeit mit sich bringt. Größere NGOs wie Greenpeace erfordern alleine um die 60 Millionen jährlich in Deutschland, die sie da herumjonglieren8. Da ist natürlich auch ein gewisses Interessenspotential involviert, wenn es um Entscheidungen geht. Durch unsere Unabhängigkeit können wir ein recht breites Spektrum an Kooperationen eingehen, und vielleicht manchmal etwas einfacher über den Tellerrand blicken als andere.
Assembly during MOVE Utopia 2017 (photo credits: Merle Kahler, cc)
How diverse or homogeneous are the people that are attracted to these topics? Is it predominantly younger people? What are your observations?
Wie heterogen bzw. homogen sind diese Gruppen, was sind das für Menschen die sich angesprochen fühlen von diesen Themen? Sind es tendenziell eher jüngere Menschen, was ist da deine Beobachtung?
I am definitely receiving a bigger response from younger people simply by being a young person myself. I strongly believe in such a kind of resonance field. We do aim to diversify our group though. Nevertheless, we speak of a white target group comprised predominantly of young people – this is somewhat of a tragedy. We keep reflecting on how we can do things differently. From my perspective, everyone interested is united by the desire to escape the growth imperative to look for different routes for how to live and organise ourselves. I always encourage people to take notice of our many privileges and to fight for others to have the same ones, rather than just using them for oneself.
Already now, we can try out many things with the abundance we are currently privileged to have at hand, including the creative potential that comes with it – rather than having to create a different world out of mere necessity. The risks are not very high, so we can experiment in real-life laboratories to test what works well and what doesn’t. I am not a big advocate of dogmatic concepts that are, from the very beginning, limiting; following a rigid plan for a set time period, conceptualised by some smart people. There are so many interdependencies and possible impacts within our world that are impossible to grasp.
Definitiv glaube ich stark daran dass es so eine gewisse Art von Resonanzfeld gibt; wenn ich also als junger Mensch etwas anbiete, dass ich dann auch eher diese Gruppe anziehe. Wir wünschen uns dabei schon, mehr Diversität reinzubringen. Trotzdem sprechen wir eher eine weiße Zielgruppe mit eher jungen Menschen an – in gewisser Weise tragischerweise. Es wird immer wieder kritisch reflektiert, wie wir das anders machen können. Aus meiner Perspektive vereint alle, die da kommen, die Sehnsucht danach, dieses „immer-weiter-schneller-höher“ nicht mehr mitzumachen um anders zu leben, sich anders zu organisieren. Ich rege dann immer gerne an: hei liebe Leute, ihr seid mit so vielen Privilegien ausgestattet, nutzt sie bitte nicht nur für euch. Sagt stattdessen, ich möchte dieses Privileg nicht nur für mich, sondern für alle und für immer!
Wir können jetzt schon einiges versuchen, vor allem weil wir durch diese Fülle, die gerade vorhanden ist, sehr privilegiert sind – eben nicht aus der Not eine andere Welt machen zu müssen, sondern eben aus der Fülle und aus dem kreativen Potential das damit einhergeht. Die Fallhöhe ist nicht so hoch, wir können in Reallaboren experimentieren und dabei schauen was funktioniert und was nicht. Ich halte wenig von beschränkenden Konzepten, die dogmatisch versuchen nach einem starren 5-Punkte-Plan von vornherein schon die nächsten 10 Jahre klarzumachen, weil irgendwelche klugen Menschen sich zusammengesetzt haben. Es gibt da viel zu viele Zusammenhänge und Auswirkungen innerhalb unserer Welt, die wir gar nicht erfassen können.
Do you feel like you are moving within an activist bubble or that your ideas also resonate beyond these circles?
Hast du das Gefühl dich in einer Aktivisten-Blase zu bewegen oder schon das Gefühl, wie beispielsweise als es mal ein Interview mit dir im Spiegel gab9, dass du auch außerhalb dieser Kreise auf eine große Resonanz stößt?
There is definitely a large response beyond my circles. In addition to an interview for the Spiegel, I was once invited to the ‘Landfrauen’ and to the money museum at the Bundesbank, where they are looping some things that I said about money in a virtual cinema. I truly believe there is a lot going on right now. At the same time, the primary target group remains ‘alternative people’. Once this target group is established, I am convinced we can just continue the path of transformation. I am clearly against just green- and social-washing capitalism. We need to contest the whole system: there is no other way. As such, I try to inspire and irritate people where possible, to see what prevails in the end. This can lead to exciting discussions and sometimes to practical changes in people’s lives – not just individually, but also collectively.
Definitiv gibt es da auch außerhalb meiner Kreise eine große Resonanz. Tatsächlich war ich, neben dem Spiegel-Interview, auch mal bei den Landfrauen10 eingeladen, ich war bei der Bundesbank, im Geldmuseum11 (wo ich jetzt alle 10 Minuten in so einer Dauerschleife zu Wort kommen darf in so einem 360 Grad-Kino, wo ich mich fiktiv mit anderen Leuten zum Thema Geld austauschen darf)… Ich glaube da ist grade echt viel im Gange. Gleichzeitig ist, die primäre Zielgruppe schon eher ein alternatives Klientel. Wenn sich diese Zielgruppe erstmal etabliert hat, bin ich aber der Überzeugung, dass der Transformationspfad einfach so weitergemacht werden darf. Den Kapitalismus einfach nur ein bisschen grüner und sozial verträglicher machen – dem erteile ich ganz klar eine Absage. Wir müssen die Gesamtverhältnisse auf den Kopf stellen, anders ist es nicht machbar. Dafür gebe ich Impulse überall wo möglich; zum Einen, um zu irritieren, zum Anderen, um zu inspirieren – und zu gucken was am Ende überwiegt. Dabei können unglaublich spannende Diskussionen zustande kommen, die sich dann aber auch in der Praxis manifestieren dürfen, indem Menschen anfangen anders zu leben in ihrem Alltag – nicht nur individuell, sondern auch kollektiv.
What are the projects you are contributing to at the moment?
Bei welchen Projekten trägst du momentan bei?
I co-initiated an educational collective in Marburg, together with seven independent teachers who contribute towards a shared economy. The idea is that education is not a commodity, but ‘if you have money, give it to us!’ in order to create possibilities for a shared livelihood. I radically lived without money a few years ago, now I am only money-freer – mostly to refinance our health insurances. We have done many workshops, presentations, project days, and such with this collective.
Next to my engagement with living utopia and many other nice projects, there are two others that are worth mentioning: firstly, the Academy for Utopia in movement, where we have been holding seminars on emancipatory topics since 2018. It is a space where we understand people not as consumers but as transformative subjects. There is a rich yearly programme with diverse topics. The academy is located where we also live, so we can directly plan seminars there and invite people to come by.
The other project was initiated by the Collective for Lived Utopias. It is centred around creating free spaces for utopia, where inner and outer change can be experienced and theorised at the same time but without time limits. The participatory spaces like Utopival, Utopikon and Move Utopia are wonderful events, but limited by time. After those events are over, people return to their everyday life routines and might quickly forget about everything again. Some things might stick, but quite often we might realise how these experiences wear off after a while.
Therefore, as a collective, we aim to liberate utopian free spaces from the idea of property and make them a commons; this is accompanied by very concrete ideals such as vegan, ecological, solidarity-based, drug-free, and without exchange logics.
Ich habe ein Bildungskollektiv in Marburg mitinitiiert mit sieben freien Bildungsdozent*innen, die in einer gemeinsamen Ökonomie aktiv sind. Mit der Idee: Bildung darf keine Ware sein, aber wenn du Knast hast, hau rein!, um andere Möglichkeiten der Existenzsicherung zu schaffen. Vor einigen Jahren habe ich radikal geldfrei gelebt, jetzt ja nur noch geldfreier, vor allem zur Refinanzierung der Krankenkassenbeiträge. Wir haben mit diesem Bildungskollektiv in Marburg bisher viele viele Bildungsveranstaltungen gemacht, Vorträge, Workshops, auch Projekttage…
Neben meinem Engagement bei living utopia und ganz vielen anderen schönen Projekten seien vielleicht noch zwei genannt: die Akademie für bewegte Utopie seit 2018, wo wir Seminare zu emanzipatorischen Themen geben, bei denen wir Menschen uns nicht nur als Konsument*innen verstehen sondern als ein transformatives Subjekt. Da gibt es ein vielfältiges Jahresprogramm mit den verschiedensten Themen. Die Akademie ist an einem Ort an dem wir auch wohnen, wo wir diese Seminare direkt gestalten können und Menschen dazu einladen vorbeizukommen.
Dadurch komme ich nun zu dem zweiten Projekt, das von dem Kollektiv für gelebte Utopien12 initiiert wurde: wir wollen utopische Freiräume kreieren, wo innerer und äußerer Wandel zeitgleich gemeinsam gedacht und auch umgesetzt werden kann und vor allem Leben und Wirken gemeinsam an festeren Orten, die temporär nicht begrenzt sind, wie z.B. die Mitmachräume utopival, Utopikon oder Move Utopia13. Das sind immer wunderbare Veranstaltungen, aber eben zeitlich begrenzt. Dann hört es wieder auf und man kommt schnell wieder in seinen normalen Alltag hinein. Einiges setzt man vielleicht um, aber oft ist es schwer dies auf Dauer zu tun. Deswegen wollen wir mit dem Kollektiv im Grunde genommen utopische Freiräume vom Eigentum befreien und als Commons etablieren, mit ganz konkreten Idealen wie vegan, ökologisch, solidarisch, drogenfrei, und tauschlogikfrei.
You have talked about participatory spaces a lot, which is a really nice term. It corresponds to a definition of space which only comes into being through social relations, by interacting with each other. At the same time, you have mentioned the significance of physical space, that exists permanently in order to guarantee a certain degree of permanence. What do you think is the importance of space in these different interpretations?
Du hast viel von Mitmach-Räumen gesprochen, ich finde diesen Begriff wunderschön. Das entspricht auf gewisse Weise einem Verständnis von Raum, der erst durch soziale Beziehungen, durchs Machen, entsteht. Gleichzeitig erwähntest du eben auch die Bedeutung von physischem Raum, der permanent besteht, damit eine gewissen Dauerhaftigkeit dabei ist. Was sind deiner Meinung nach die Bedeutung von Raum in diesen verschiedenen Zusammenhängen?
Permanent physical spaces are definitely essential. People spend around a third of their income for rent – it’s incredible! This is directly connected to the necessity of wage labour: one is compelled to enter the work force in order to pay for all this. Creating spaces where these compulsions are unnecessary – spaces that can sustain themselves without any monetary donations in order to pay the rent – is extremely important for our creative potentials to really unfold.
One of the houses we acquired is entirely collectively organised, meaning that there are no private rooms. What does that do to us if we only have functional rooms? When the notion of ‘mine’ and ‘yours’ starts to cross over? Where people can come together with the possibility to share their everyday lives, rather than just renting a room somewhere for an evening event? You need to organise yourselves very differently then, which I find extremely exciting and important.
Definitiv – essentiell sind diese großartigen Räume, die es wirklich dauerhaft gibt. Im Schnitt wird etwa ein Drittel des Einkommens zur Bezahlung von Miete ausgegeben14. Es ist unglaublich! Also, wo wir natürlich sofort immer wieder in eine Lohnarbeitsverwertung kommen müssen, um dafür aufzukommen. Dafür Räume zu schaffen in denen das nicht nötig ist, die sich komplett außerhalb von irgendwelchen Spenden zum Aufbringen der Miete erhalten können und es einfach so läuft – das ist wirklich ganz wichtig, damit sich das kreative Potential auch tatsächlich entfalten kann bei den Menschen.
Ein Haus wird zum Beispiel rein kollektiv organisiert, es gibt keine Privatzimmer dort. Was macht das mit uns wenn wir nur rein funktionale Räume haben? Wenn „mein“ und „dein“ mehr als zerfließend ist? Wo Menschen zusammenkommen können, wo sie die Möglichkeit haben, nicht nur einmal irgendwie einen Raum zu mieten für eine Abendveranstaltung, sondern auch miteinander den Alltag leben können? Da muss man sich ganz anders organisieren, was meiner Meinung nach hochspannend und extrem wichtig ist.
You talked a lot about collective structures, group processes etc. What is your experience and do you believe that these new forms of organising, of commoning and sharing, are going to be applicable for society as a whole some day?
Du sprachst viel über kollektive Strukturen, Gruppenprozesse etc. – was sind da so deine Erfahrungen und glaubst du, dass diese neue Art des Sich-Organisierens, des Gemeinschaffens, auch irgendwann mal gesamtgesellschaftlich möglich sein wird?
I strongly believe my experiences can be transferred to other people. Overall, I think it is very important to recognise that not all of us have the same needs, the same kind of sufficiency. Sufficiency does not equal abstinence, it rather asks: what is enough? Enough is a grand political demand, as there are billions of people who don’t have enough. Distributing societal wealth fairly is not abstinence, particularly when 8 mostly white men own as much as the poorer half of the world population, 3.6 billion people!
I believe it can be very satisfying for people to say: no, I don’t need to have all of this for myself. Those 10,000 things that the average person owns in Germany often overburden people and interfere with another limited resource: our time. We all only have 24 hours a day, and we overburden ourselves if we own that drill that we use on average 13 minutes of our lives. Let’s free ourselves from this overabundance. It is great fun to enter into social interactions with other people. It doesn’t mean that everyone has to socially interact and communicate every time you need something; this shouldn’t be enforced. But – taking the shared clothes closet as an example – I do realise over and over again how beautiful it is when I take out a shirt and somebody tells me: hey Tobi, I put that shirt in there, but it really looks good on you, too! Suddenly, there is a social relationship with that piece of clothing, rather than it being just another nebulous object.
Ich glaube sehr stark daran dass meine Erfahrungen auch übertragbar auf andere Menschen sind. Insgesamt finde ich sehr wichtig zu erkennen, dass nicht alle die gleichen Bedürfnisse haben, die gleiche Suffizienz. Suffizienz ist ja meines Erachtens keine Verzichtslogik, sondern eher so eine Frage nach: was ist wirklich genug? Und genug ist finde ich eine große politische Forderung, zu sagen hei, es haben so viele Milliarden Menschen nicht genug. Das ist ja kein Verzicht, alles was gesamtgesellschaftlich da ist so zu verteilen, dass es gerecht ist! Statt dass 8 mehrheitlich weiße Männer so viel haben wir die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung, 3,6 Milliarden Menschen15!
Ich glaube schon, dass es für Menschen befriedigend sein kann zu sagen: nein, ich muss nicht alles für mich selber haben. Die 10.000 Dinge, die der Durchschnittsmensch in Deutschland hat, die überfordern mich sowieso maßlos und kommen in den Konflikt mit einer wirklich begrenzten Ressource: unserer Zeit. Wir alle haben nur 24 Stunden am Tag, und wir überfordern uns wenn wir dann noch die Bohrmaschine besitzen, im Schnitt 13 Minuten unseres Lebens verwendet.16
Befreien wir uns von diesem Überfluss. Mit anderen Menschen in die soziale Interaktion gehen ist eine großartige Freude. Das heißt aber nicht, dass alle Menschen immer sofort sozial interagieren und kommunizieren müssen wenn sie irgendein Bedürfnis haben – das darf nicht zu einem Zwang werden, das ist ganz wichtig. Ich merke aber immer wieder, am Beispiel des Gemeinschaftsschranks: das ist doch total schön, wenn ich mir etwas zum Anziehen rausnehme und dir deine Mitbewohner*in dann vielleicht sagt, hei Tobi, das T-Shirt habe ich doch reingesteckt, das sieht aber auch an dir ganz nett aus! Auf einmal ist eine soziale Bindung da, eine Beziehung – nicht nur irgendein nebulöses Kleidungsstück.
Thanks Tobi for the nice conversation!
Vielen Dank Tobi für das wunderbare Gespräch!
English proofreading: Melissa Harrison
Footnotes/Fußnoten:
1In German, there are two different words for ownership/possession, Eigentum and Besitz. Eigentum includes the right to sell property, whereas Besitz refers to a form of possession that results from using something.
2World Overshoot Day marks the day each year on which all existing sustainable resources are already used up. More info: https://www.overshootday.org
3Der World Overshoot Day kennzeichnet den Tag, an dem alle nachhaltig bestehenden Ressourcen bereits aufgebraucht sind. Mehr Info dazu: https://www.overshootday.org
4Mit dem Reformationsjubiläum 2017 wurde im Zeitraum 2016/2017 der 500. Jahrestag des Beginns der Reformation begangen. Das Jubiläum war weltweit der Höhepunkt der Luther- / Reformationsdekade. Im gesamten Zeitraum fanden weit über eintausend Veranstaltungen, Tagungen und Ausstellungen statt. Quelle: Wikipedia.
5Siehe beispielsweise in Marianne Gronemeyers Buch ‚Wer arbeitet, sündigt‘ (2012, Primus Verlag).
6And a second time in 2019. More info: https://move-utopia.de/de, accessed 22.10.2019.
7Source: Greenpeace Jahresbericht 2017, more info: https://www.greenpeace.de/presse/publikationen/jahresbericht-2017, accessed 4.11.2019.
8Quelle: Greenpeace Jahresbericht 2017 unter https://www.greenpeace.de/presse/publikationen/jahresbericht-2017
9Siehe das Spiegel-Online Interview: http://www.spiegel.de/spiegel/unispiegel/minimalist-ein-leben-ohne-geld-und-besitz-a-1173665.html
10Der Deutsche LandFrauenverband vertritt die Interessen von rund 500.000 Frauen, die auf dem Land leben, und engagiert sich für mehr Lebensqualität in ihrem Umfeld. Mehr Info unter: https://www.landfrauen.info
11Mehr Info unter: https://www.bundesbank.de/de/bundesbank/geldmuseum
12Mehr Info unter: https://gelebteutopie.de
13Mehr Info zu diesen Mitmachräumen unter: https://www.utopival.de, https://utopikon.de, und http://move-utopia.de
14Spiegel Online. Städte im Vergleich: So viel vom Einkommen geht für Miete drauf. (13.09.2017) https://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/deutschland-so-viel-vom-einkommen-geht-fuer-miete-drauf-a-1167391.html, accessed 23.10.2019.
15https://www.theguardian.com/global-development/2017/jan/16/worlds-eight-richest-people-have-same-wealth-as-poorest-50
16https://www.brandeins.de/magazine/brand-eins-wirtschaftsmagazin/2012/relevanz/die-welt-in-zahlen